Es ist schon viel gesagt und geschrieben worden darüber, wie unsere Generation, die der Thirty-fourty-somethings sich in Beziehungen verhält. Oder eben nicht. Denn
Beziehungen fallen uns ja bekanntlich schwer. Und wir ordnen sie anderen Lebenszielen unter. Darüber gibt es ganze Bücher. Und Lesungen. Und Workshops.
Sorry aber mir reicht das nicht. Das klingt in meinen Ohren wie zielloses Gejammer.
Wollen wir das Glück einer langen, sinnerfüllten, sinnlichen und erfüllenden Beziehung kennenlernen? Eine Liebesbeziehung, die uns trägt und beflügelt. Eine Verbindung, die uns nachts warm hält und tagsüber mit Sehnsucht nach dem anderen erfüllt.
Eine Beziehung, nicht unbedingt so, wie unsere Eltern das erlebt haben. Wenn sie es denn überhaupt erlebt haben. Aber so wie wir uns das wünschen. Nach unseren eigenen Maßstäben.
Ich bin Körpertherapeutin. Ich weiß, wie stark unser Körper sich in unsere sogenannten „freien“ Entscheidungen einmischt. Wir sind seinen Prägungen und Prozessen oft hilflos
ausgeliefert. Wir sind nicht frei.
Wir sind in den späten 60ern, 70ern und frühen 80ern geboren.
Damals gingen die Frauen ins Krankenhaus, um ihre Kinder zu bekommen. Davor hatten wir eine größere Wahrscheinlichkeit zu Hause auf die Welt zu kommen. Wer später geboren wurde, hat vielleicht die Chance gehabt, ein Geburtshaus als erste Umgebung zu erblicken. Zumindest war der Vater meist dabei und mit ein bisschen Glück hatte die Geburt den Stempel „sanft“ .
Aber wir, die Thirty-fourty-somethings, wir sind in der Klinik geboren.
Unsere Väter waren nicht dabei um unsere Mutter zu beflügeln. Wir wurden unseren Müttern nicht auf den Bauch gelegt. Erst musste abgesaugt, gewaschen, gewogen, gemessen werden. Fremde Hände
begrapschten uns und der schöne Moment des Bondings, dieses wichtigen Verliebens von Mutter und Kind, das haben wir nicht gekannt.
Mit Plastikbändchen an den Handgelenken, die unser Geschlecht per Farbe und unsere Identität mit Name und den vermeintlich wichtigsten Daten zu erkennen gab. Alle vier Stunden durften wir zur Mama.
Egal wie lange vorher wir schon hungrig geworden waren und wie sehr wir uns bemüht hatten, dies kundzutun. Wenn wir Glück hatten, wurden wir gestillt. Konnten die Wärme und Liebe, die
Zärtlichkeit und Freude mit der Muttermilch in uns aufnehmen.
Hatten wir etwas weniger Glück, bekamen wir die Flasche. Aber auch dann hatten wir endlich, nach langen Stunden der Einsamkeit im Körbchen, endlich das Empfinden von Verbundenheit und
Fürsorge.
Waren wir gefüttert, ging es zurück ins Säuglingszimmer. Wieder für 4 lange Stunden.
Meine Mutter erzählt heute noch gerührt, dass die Schwester einmal vergaß, mich nach dem Stillen wieder abzuholen. Meine Mutter zog mich aus und Tage nach der Geburt, zum ersten Mal, konnte
sie mich sehen, wie sie mich geschaffen hatte. Wir konnten endlich den emotional wichtigen und entwicklungsfördernden Hautkontakt genießen, den die Natur für Mutter und Kind vorgesehen
hat.
Mein Vater hat es geschossen. Man sieht mich fest eingewickelt in Strampler und Tücher, hochgehalten von einer weiß gekleideten Schwester mit Mundschutz. Hinter einer Glasscheibe.
Als ich meinen Vater – in Vorbereitung für diesen Artikel – fragte, wie es denn für ihn war, seine Tochter das erste Mal so hinter Glas zu sehen, sagte er: “Schlimm!“ und wandte sich schnell
ab. Es ist 45 Jahre her und tut ihm immer noch weh. Was also muss es damals erst mit mir gemacht haben?
Das nennt man implizite Erinnerung. Im Gegensatz zu der expliziten Erinnerung – nämlich die, die uns verrät, was als Kind unser Leibgericht war – kann die implizite Erinnerung nicht bewusst abgerufen werden.
Na, sagen wir, nicht verstandesbewusst. Denn der Körper erzählt ja seine Geschichte. Jeden Tag und immer weiter. Er erzählt sie und wir handeln danach. Leider zu oft ohne es zu
wissen.
(Denn würden wir es wissen, könnten wir auch anders handeln, weniger „fremdgesteuert“, weniger gezwungen. Freier eben.)
Die Geschichte, die unser Körper da erzählt ist ziemlich einfach im Grunde. Wir haben in unseren Zellen eine sehr simple Gleichung abgespeichert.
und
Diese Gleichung stammt aus unserer ganz frühen Babyzeit, dem Wochenbett unserer Mütter.
Als wir Liebe und Glück mit dem schönen Gefühl des Sattwerdens in Verbindung bringen konnten. Der Magen füllte sich mit Milch und unser Körper erfuhr eine Überschwemmung von Glückshormonen. Eine
Wohltat nach den langen Stunden in Einsamkeit und Babyweinen.
Wohlgefühl = Beziehung.
Später landeten wir dann wieder in unseren Plastikbettchen. Was auch immer unsere Missempfindung war – Kälte, Hunger, Einsamkeit – wir waren zu viele, als dass die Schwestern sich hätten um uns kümmern können. (Erinnert das an etwas? Kitas z.B.? )
Uns ging es nicht gut und wir lernten, unser Weinen, sprich unser einziges uns zur Verfügung stehende Mittel, Beziehung aufzunehmen und um Hilfe zu bitten, wurde nicht
beantwortet. Gar nicht, wenig und in jedem Fall unzureichend. Also haben wir gelernt, uns selbst zu beruhigen. Wir haben gelernt auszuhalten. Vor allem aber haben wir
gespeichert: Wenn es mir nicht gut geht, ist Beziehung unmöglich.
Unwohlsein = Nicht Beziehung.
Das Beziehungshandtuch schmeißen? Wen überraschst es, dass wir Streit, Stress, Meinungsverschiedenheiten in der Liebe nicht versuchen auszubügeln, sondern nach - wie Michael Nast schreibt – dem nächsten, dem besseren, dem passenderen Partner suchen?
Wie können wir mit dieser Prägung erwarten, dass wir in Kauf nehmen, dass es mal ungemütlich werden kann? Dass gemeinsames Wachstum auch Wachstumsschmerzen mit sich zieht?
Es ist sogar so lange möglich, wie wir nach dem Essen noch satt sind. Aber sobald der Hunger eintritt, verlieren wir das Vertrauen. Wir verlieren den Glauben. Und wir verlieren die Fähigkeit gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Denn zu stark ist die Prägung, die wir als Baby erfahren haben.
Werden wir nie zu einer glücklichen, langen Liebesbeziehung fähig sein? Wo uns doch Studien erzählen, dass genau das ein wichtiger Faktor für ein gesundes, langes und erfülltes Leben ist. Soll uns jetzt also auch noch Gesundheit im Alter verwehrt bleiben?
Nur wenn wir bei der „Das ist eben heutzutage so“-Haltung bleiben.
Nicht wenn wir bereit sind, uns mit unserer Geschichte und nicht nur ihren Auswirkungen auseinander zu setzen.
Wenn wir unserem Körper endlich mal bewusst zuhören und ihn seine Geschichte erzählen lassen. Das geht sowohl sanft als auch schnell. Wir reden hier schließlich von Körpertherapie und nicht von Psychoanalyse. Denn jede Prägung, die wir erfahren haben, jede implizite Erinnerung, die unser Körper gespeichert hat, lässt sich auch wieder umprogrammieren, reframen.
PS: Melanie Mittermaier vom Liebe Leben Blog hat einen wundervollen Antwortartikel hierzu geschrieben. Hier zu lesen: http://www.melanie-mittermaier.de/generation-beziehungsunfaehig/